Dienstag, 9. Juni 2015

Der US-Imperialismus und die Korruptionsermittlungen gegen die FIFA



Nach tagelang von offizieller Seite zur Schau gestellter Sorge um den angeschlagenen Ruf des „wunderbaren Spiels“ ist das Hauptziel der USA bei ihrem strafrechtlichen Vorgehen gegen hohe Vertreter des Weltfußballverbands FIFA deutlich zu erkennen.

Am 3. Juni teilte das FBI mit, dass es nun auch wegen Korruption, Bestechung und Stimmenkauf im Zusammenhang mit der Vergabe der Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland und Katar ermittle. Das ist ein politischer Schachzug gegen das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der als notwendige propagandistische Begleitmusik zur US-geführten Einkreisung Russlands durch die NATO dienen soll.

Die Vorgeschichte der Festnahme von neun führenden FIFA-Offiziellen und fünf Unternehmensvorständen durch das US-Justizministerium am 27. Mai ist bemerkenswert. Die Festnahmen stützten sich auf eine aus 47 Punkten bestehende Anklage nach Maßgabe des RICO Act (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act, 1970 erlassenes Bundesgesetz der USA). Zu den Anklagepunkten zählen Erpressung, Geld- und Überweisungsbetrug sowie Geldwäsche. Die Ereignisse zeigen, dass die zunehmenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen Gegensätze alle Aspekte des Lebens erfassen – und dass Washington vor nichts zurückschreckt, um seinen Willen durchzusetzen.

Fußball ist nicht gerade eine führende Sportart in den Vereinigten Staaten und die 150 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von 24 Jahren, um die es gehen soll, sind Peanuts im Vergleich zu der täglichen Korruption im US-Finanzsystem. Dennoch hat das FBI einen enormen Aufwand betrieben und seine Befugnisse derart weit ausgedehnt, dass es sich nicht mit juristischen Gründen rechtfertigen lässt.

Offiziellen Berichten zufolge wurden erstmals im Jahre 2009 Ermittlungen gegen die FIFA aufgenommen. Sie konzentrierten sich anfänglich auf Korruptionsvorwürfe, die nach dem Bankrott des FIFA-Marketingpartners International Sports Leisure laut wurden, und richteten sich gegen die Kontinentalverbände CONMEBOL (Südamerika) sowie CONCACAF (Nord- und Zentralamerika sowie die Karibik). Ein Großteil der im vergangenen Monat in der Schweiz verhafteten Person hatte ebenfalls Verbindungen zu diesen Verbänden, die der Annahme von Bestechungsgeldern im Zusammenhang mit den Fußballweltmeisterschaften der Jahre 1998 und 2010 beschuldigt werden.

Die Verhaftungen im Hotel Baur au Lac in der Schweiz brachten das FBI allerdings nicht zum angestrebten Ziel. Tatsächlich arbeitete es bereits mit Schweizer Behörden zusammen, die eine nominell eigene strafrechtliche Untersuchung über die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022 durch die FIFA im Jahr 2010 eingeleitet hatten. Die Personen, die jetzt verhaftet wurden, waren als Delegierte des 65. FIFA-Kongresses in der Schweiz, auf dem Sepp Blatter, die wichtigste Person bei der Vergabe, für eine fünfte Amtszeit als FIFA-Präsident gewählt werden sollte.

Die Kampagne gegen Blatter und die Austragung der WM in Russland hatte schon vor den Verhaftungen begonnen. Am 26. Mai, einen Tag vor der Razzia in der Schweiz, forderten Senator Robert Menendez, gegen den im April Anklage wegen Korruption erhoben worden war, und Senator John McCain in einem gemeinsamen Brief an die FIFA, dass Blatter entfernt werde aufgrund seiner „anhaltenden Unterstützung für die WM in Russland 2018, obwohl Russland weiterhin die territoriale Integrität der Ukraine verletzt und auch in anderer Form die nach dem Zweiten Weltkrieg installierte Sicherheitsarchitektur in Frage stellt.“

Nach dem Eingreifen des FBI wurde diese Kampagne verschärft. Im Vereinigten Königreich griffen Prinz William, führende Funktionäre der Football Association, Premierminister David Cameron von den Konservativen sowie der Anwärter für das Amt des neuen Labour-Parteivorsitzenden, Andy Burnham, Blatter an oder kritisierten die Austragung der WM durch Moskau und Katar.

Blatter selbst wurde immer stärker ins Fadenkreuz genommen. Am 1. Juni berichtete die New York Times, dass ein bisher anonymer „hochrangiger FIFA-Funktionär“, der in einen 10-Millionen-Bestechungsskandal verwickelt ist, als Jérôme Valcke identifiziert worden sei, seines Zeichens FIFA-Generalsekretär und Blatters wichtigster Mann.

Sony, Emirates, Castrol, Continental und Johnson & Johnson zogen sich als Sponsoren der FIFA zurück.

Am 2. Juni kündigte Blatter dann seinen Rücktritt als FIFA-Präsident zum Dezember an. Das hielt das FBI jedoch nicht davon ab, zu betonen, dass auch gegen ihn ermittelt werde. Gleichzeitig erfuhr Reuters von einer anonymen Quelle, dass die Ermittlungen auf die Vorgänge rund um die Bewerbungen für die WM-Turniere 2018 und 2022 ausgeweitet worden seien.



Wie auf Bestellung sagte der britische Kulturminister vor dem Unterhaus, dass England bereit und fähig sei, die WM 2022 auszutragen. In einer Bezugnahme auf Russland bemerkte er: „Wir haben die erforderliche Infrastruktur und wir haben eine sehr beeindruckende Bewerbung für die WM 2018 abgegeben, auch wenn wir damit nicht erfolgreich waren.“

Das Putin-Regime in Moskau versteht sehr gut, dass die US-Operationen gegen die FIFA sich in erster Linie gegen Russland und nicht gegen Katar richten. Putin verurteilte „einen weiteren unverfrorenen Versuch [der USA], ihre Gerichtsbarkeit auf andere Staaten auszudehnen.“

Vertreter Russlands äußerten, Blatters Rücktritt werde auf die Vorbereitung zur Austragung der WM keinen Einfluss haben. Der stellvertretende Ministerpräsident Arkadi Dworkowitsch sagte dem Guardian: „Jede politische Einmischung in Angelegenheiten des Fußballs ist illegal.“

Illegal hin oder her: Es wäre äußerst naiv anzunehmen, dass die USA nicht mit aller Entschlossenheit versuchen werden, die Austragung der WM 2018 in Russland zu verhindern.



Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko äußerte sich bereits dahingehend, dass Blatters Rücktritt Hoffnung mache, „gewisse durch Korruption beeinflusste Entscheidungen“ der FIFA würden vielleicht revidiert.

In Großbritannien brachten am 1. Juni sowohl die Konservativen wie auch Labour die Möglichkeit ins Spiel, 2018 und 2022 „alternative“ Weltmeisterschaften auszutragen. Sie teilten mit, dass die FA diesen Plan bereits mit der UEFA diskutiere. Die UEFA hatte für den 5. Juni eine Sondersitzung in Berlin einberufen und war – zumindest vor Blatters Rücktritt – durchaus bereit, eine Abspaltung von der FIFA zu erwägen und 2018 eine eigene Weltmeisterschaft zu organisieren.

Nach Blatters Rücktritt könnte diese „nukleare Option“ hinfällig werden, da die FIFA die Austragung in Moskau noch rückgängig machen könnte. Ein Artikel im Daily Telegraph vom 4. Juni deutete an, dass für diesen Fall „das Gerücht umgeht, die USA seien der stärkste Bewerber.“

Von Anfang an hat die Presse zustimmend über das Vorgehen der USA berichtet, und die Behauptung der USA, den Augiasstall der FIFA ausmisten zu wollen, wurde kaum hinterfragt. Kein einziger bekannter Journalist hat die Fragen gestellt, die auf der Hand liegen: Wie kommen Vertreter der USA dazu, die Korruption bei der FIFA anzugreifen, angesichts des von Korruption geplagten Sportbetriebs in den USA und den Multi-Billionen-Dollar-Skandalen, in die das amerikanische Finanzsystem verwickelt ist und für die niemand zur Verantwortung gezogen wurde? Womit begründet die herrschende Klasse Amerikas ihr Recht, Personen für Handlungen festzunehmen, die sie außerhalb der rechtlichen Zuständigkeit und des Staatsgebiets der USA begangen haben?

Die offensichtlichen geopolitischen Motive hinter dem plötzlichen Interesse der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden an den Korruptionsvorwürfen gegen die FIFA werden kaum thematisiert. Eine der wenigen Ausnahmen ist Natalie Nougayrède. Sie schrieb im Guardian: „Die Vorstellung von einer mulitpolaren Welt hat einen schweren Schlag erhalten. […] Das vertraute Narrativ, dass Amerika global nicht mehr die erste Geige spielt, wird eindrucksvoll und sehr öffentlichkeitswirksam revidiert. Auf einmal erscheint die Vorstellung einer postamerikanischen Welt weniger überzeugend.“

Die Auswirkungen reichen viel weiter, als Nougayrède sich vorstellen mag. Die USA sind bereit zu Erpressung, Einschüchterung und Missachtung aller etablierten Rechtsnormen, um einen Propagandaerfolg zu erzielen und Moskau weiter zu isolieren. Doch selbst das ist harmlos im Vergleich zum kriminellen Verhalten Washingtons in anderen, noch wichtigeren Fragen: dem Ausspionieren der Weltbevölkerung, illegaler Überstellungen, Folter, Drohnenmorden, dem Führen illegaler Kriege und der Entwicklung von Kriegsplänen gegen die Nuklearmächte China und Russland, die die Welt mit einer unvorstellbaren Katastrophe bedrohen.


Quelle: Chris Marsden von wsws.org

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